Die Krim im Jahr 2015 Ein Jahr ist es her, dass Russland die Schwarzmeerhalbinsel in einer blitzartigen Geheimoperation von der Ukraine abtrennte und sich einverleibte. Weltweit war das Entsetzen groß. Doch wie fühlen sich die neuen russischen Bürger heute? "Auch wenn es im Moment härter ist - fragen Sie, wen Sie wollen: 95 Prozent wollen die alte Zeit nicht zurück".
Victoria Bewohnerin von Simferopol

VON ULF MAUDER

SIMFEROPOL/SEWASTOPOL - FP 26.02.2015

Verblasst ist das sonnige ukrainische Gelb mit dem blauen Wappen an den Briefkästen von Simferopol. Es sind beinahe die letzten Spuren aus einer anderen Zeit - bevor sich Russland im März die Krim einverleibte. Ein Jahr ist das jetzt her. Auch auf Nummernschildern vieler Autos gibt es sie noch, die ukrainischen gelb-blauen Flaggen mit dem Kürzel UA. Doch all das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ukraine die Kontrolle über die Schwarzmeerhalbinsel Krim verloren hat.

Blutrote russische Wappen mit dem Doppeladler stechen ins Auge. Wie Warnschilder leuchten sie an Zäunen, Toren von Garnisonen und Gebäudefassaden der Krim-Hauptstadt - Symbole des umstrittenen Systemwechsels auf der Schwarzmeerhalbinsel. Bei den Menschen in Simferopol fällt die Bilanz ein Jahr nach dem "Krimskaja Wesna" - dem politischen Krim-Frühling - durchwachsen aus.

"Es gibt Minuspunkte, und es gibt Pluspunkte. Auch wenn es im Moment härter ist - fragen Sie, wen Sie wollen: 95 Prozent wollen die alte Zeit nicht zurück", sagt Viktoria, eine Mutter von drei Kindern in der Fußgängerzone der Karl-Marx-Straße. Sie lobt die Sozialleistungen und die medizinische Gratis-Versorgung, die es anders als vorher nun wirklich gebe. "Aber die vielen neuen Gesetze. Daran müssen wir uns erst gewöhnen", sagt sie.

Klagen der Krim-Bewohner drehen sich um die russische Bürokratie, das Anstehen nach neuen Pässen. Diejenigen mit Grundstück, Haus oder Wohnung ärgern sich über langes Warten, den Papierkram und hohe Kosten, wenn sie ihr Eigentum übertragen lassen.

Wohin geht die Reise für die Krim? Bewohner der Hafenstadt Sewastopol verfolgen eine Flugschau
Foto: Marina Lystseva /imago

Die Mittvierzigerin Viktoria hält inne, direkt am Krim-Parlament, gegenüber ein Panzer der Roten Armee aus dem Zweiten Weltkrieg. Er steht ausgerechnet an der zentralen-russisch-orthodoxen Kirche. Arbeiter sanieren das Gotteshaus - ein Projekt unter dem Patronat von Russlands Präsidenten Wladimir Putin.

Viktoria und ihr Begleiter Igor räumen ein, dass die ukrainischen Gesetze liberaler gewesen seien. Sorgen machen sie sich aber vielmehr wegen der rasant steigenden Preise.. Niemand rechnete vor einem Jahr damit, dass der Hoffnungsträger Russland in eine tiefe Krise fällt. "Aber wir müssen eben ranklotzen. Alles wird gut", meint Igor.

Beide schauen auf Fotos und Sträuße mit roten Nelken zum Gedenken an jene, die vor einem Jahr in der ukrainischen Hauptstadt Kiew auf dem Maidan durch Schüsse starben. Damals schlugen die prowestlichen Proteste in Gewalt um. Präsident Viktor Janukowitsch verlor seine Macht. Um die in Kiew getöteten Angehörigen der ukrainischen Sonderpolizei Berkut (Steinadler) trauert auch der frühere Offizier Wladislaw. "Sie waren meine Freunde", sagt der 34-Jährige, der heute mit Fahrdiensten und Ferienwohnungen Geld verdient.

"Die Leute waren damals schockiert, als der Präsident gestürzt wurde", sagt der frühere Soldat. Keiner hier wollte eine Regierung, die durch Gewalt an die Macht gekommen ist." Die nächste Präsidentenwahl war bereits in Sicht, das politische Ende für den korrupten Janukowitsch ohnehin nah. Wladislaw sagt, er sei froh, dass der Krim ein Blutvergießen erspart geblieben sei.

Er klingt, als tröste er sich damit, dass in der Ukraine alles noch schlimmer sei als hier. "Mir persönlich geht es besser als vorher. In den ukrainischen Streitkräften haben wir als Soldaten gehungert. Wir zählten nichts. Die Kampfmoral war am Boden", sagt der Ex-Kommandeur. Er habe heute 23.000 Rubel Rente (rund 300 Euro) vom russischen Staat - in der Ukraine seien es umgerechnet 8000 Rubel gewesen.

Dass der Westen Russland eine Annexion der Krim und einen Völkerrechtsbruch vorwirft, weiß er so gut wie jeder andere. Die Soldaten hätten aber vor einem Jahr auch deshalb keinen Widerstand geleistet, weil sie keine Zukunft in der Ukraine sahen. Ob das Leben in Russland für alle den erhofften Wohlstand bringt? Wladislaw will sich da lieber nicht festlegen: "Posmotrim' - Wir werden sehen.

Die Folgen des Krim-Anschlusses an Russland sind schon jetzt unübersehbar: Wegen der westlichen Sanktionen ist die moderne Filiale der US-Fastfoodkette Mc Donald's geschlossen. Geldautomaten reagieren auf ausländische Kreditkarten nur noch mit Ablehnung. Touristen auf der Ferieninsel müssen sich deshalb mit reichlich Barem eindecken.

Echte Gegner des Machtwechsels sind am ehesten über vertrauliche Kontakte zu finden. Bei einem Treffen im Cafe 23 auf der Karl-Marx-Straße will die frühere Tourismusmanagerin Ella, 40, ihren Nachnamen lieber nicht nennen. Bei rund zwei Millionen Menschen auf der Krim würden Systemgegner von den Geheimdiensten rasch ausfindig gemacht, sagt sie.

"Die Leute sind völlig verängstigt. Sie haben im Anfang alle das russische Geld gesehen und sind jetzt ernüchtert", sagt Ella. Wer sich beschwere, riskiere Druck. Die ethnische Russin wollte ihren ukrainischen Pass nicht abgeben und habe schriftlich erklären müssen, dass sie die neue Staatsbürgerschaft nicht wolle. Die Folgen? "Ich bekomme keine Arbeit. Ich habe in meiner Wohnung, die mein Eigentum ist, nur noch begrenztes Aufenthaltsrecht", sagt die Mutter eines achtjährigen Sohnes.

Aber auch von ukrainischer Site gebe es Druck. An das Geld bei ihrer aufs Festland umgesiedelten Hausbank komme sie nur noch, wenn sie ihren Wohnsitz in ukrainisches Kerngebiet verlege. Im Mai, wenn das Wetter besser ist, will Ella nach Kiew auswandern. "Was hier passiert ist, ist ein Rechtsbruch. Ich werde mir meinen Lebenslauf nicht verderben", sagt sie. Weil die Krim nun vom Festland abgeschnitten ist, sieht sie schwarz für die Zukunft.

Simferopol als Geschäfts- und Verwaltungszentrum der Krim galt auch zu ukrainischen Zeiten als Ort mit spürbaren Gegensätzen. Rund 300.000 Menschen leben hier, darunter viele Krim-Tataren, die heute wie damals nach einer unabhängigen islamischen Republik streben. Viele von ihnen boykottierten die umstrittene Volksabstimmung über einen Beitritt zu Russland vor einem Jahr. Die zu kommunistischen Zeiten deportierten Tataren waren erst gegen Ende der Sowjetunion hierher zurückgekehrt. Auch deshalb lehnen viele alles Russische ab.

"Das Referendum war ein Festtag", sagt Daria, die in Sewastopol einen kleinen Gemüseladen auf dem Markt betreibt. Foto: Ulf Mauder/dpa

Es gibt sie aber auch, die unerschütterlichen Russland-Enthusiasten. Sie haben ihr Zuhause in Sewastopol - seit mehr als 230 Jahren Heimathafen der russischen Schwarzmeerflotte. Taxi- und Busfahrer bieten am Bahnhof von Simferopol, an dem schon seit Monaten keine Züge vom ukrainischen Festland mehr einrollen, in alle Orte der Halbinsel Touren an. Ein Busticket für die eineinhalbstündige Fahrt ans Meer in die Heldenstadt Sewastopol kostet gerade einmal 100 Rubel, umgerechnet rund 1,40 Euro.

An der Küstenpromenade der zu Zarenzeiten unter Katharina der Großen gegründeten Metropole bieten Souvenirläden T-Shirts und Tassen mit dem Konterfei von Kremlchef Putin an. Auf Magneten und Tassen sind Landkarten der Krim mit der weiß-blau-roten Trikolore unterlegt Möwen kreischen. Kapitän Wlad liest mit seinem kleinen Kutter Touristen an einer Anlegestelle auf. Die Besucher kommen vor allem aus Moskau und anderen russischen Städten. Wlad zeigt seine Freude mit einem stolzen Lächeln. "Ich fühle mich endlich zu Hause, es ist alles, was ich immer wollte", sagt er. Er dreht den Daumen nach oben bei der Frage ob das Leben jetzt besser oder schlechter sei.

Wer noch vor der "Wiedervereinigung mit Russland durch Sewastopol lief erlebte die Passanten oft verschlossen. Das ist jetzt anders. "Ich habe den Eindruck, dass es jetzt ehrlicher ist, dass ich jetzt so sein kann, wie ich will, sagt Daria in ih-rem kleinen Gemüseladen auf dem Markt. Das Referendum vor einem Jahr war wie ein Festtag. Es gab so lange Schlangen."

Was die Mutter eines dreijährigen Sohnes aber doch nachdenklich macht, ist etwas, wovon viele Russen und Ukrainer erzählen: der Konflikt habe auch Familien entzweit. "Meine Großeltern wohnen in der Nähe von Kiew. Opa redet nicht mehr mit uns, weil wir Russland unterstützen. Nur Oma noch". (dpa)


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